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«Banken befinden sich im erfrischenden Transformationsprozess»

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Banken und deren Arbeitsumfeld? Ein Gespräch mit Marianne Wildi, CEO der Hypothekarbank Lenzburg.

12. Oktober 2020

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«Die Neologismen fliegen einem heutzutage nur so um die Ohren. Da muss man manchmal auch Übersetzungshilfe leisten», sagt Marianne Wildi, CEO der Hypothekarbank Lenzburg. (Bild: Daniel Kellenberger)

Die Banken schaffen es immer wieder in die Schlagzeilen: Zentralisierung, Personalabbau, virtuelle Schalter, Kryptowährungen und Block-Chain-Modelle. Marianne Wildi, was spricht heute dafür, in die Bankenwelt einzusteigen resp. sich im Finanzbereich weiterzubilden?

Marianne Wildi: Die Branche steht vor spannenden Herausforderungen, die, abhängig vom Geschäftsmodell einer Bank, unterschiedlich ausfallen können. Die Digitalisierung hat den Finanzbereich erreicht, und nun gilt es, die Banken fit für die Zukunft zu machen, insbesondere im traditionellen Retail Banking wird sich die Welt verändern. Das heisst: Wer sich für Digitalisierung, Change Management, Informatik und den Bau von Systemarchitektur, Roboter (z.B. Chat- oder Voicebots), aber auch für den digitalen Betrieb und die Orchestrierung hybrider (digitaler und persönlicher) User Journeys interessiert, findet bei uns faszinierende Tätigkeitsfelder. Auch im Bereich der Blockchain- oder der sogenannten Distributed-Ledger-Technologien können noch in sehr vielen Anwendungsgebieten neue Produkte entwickelt werden. Die neuen Technologien fordern sogar in vermeintlich staubtrockenen Materien wie Compliance und Regulation eine neue innovative Herangehensweise, weil man mit alten Denkmustern zum Teil nicht weiterkommt. Das Prinzip der Schriftlichkeit zum Beispiel, wichtig im Vertragsrecht der Bankbranche, bedarf dringend einer Erweiterung für eine zunehmend digital operierende Kundschaft. RegTech-Spezialisten sind gefragt. Aber auch hoch qualifizierte und empathische Kundenberaterinnen und -berater werden weiterhin gebraucht.

Welches sind derzeit die zentralen Herausforderungen der Schweizer Banken?

Marianne Wildi: Betriebswirtschaftlich ist es einerseits die Kombination aus sinkenden Margen und dem Investitionsstau für technologische Projekte und andererseits die Herausforderung, neue Prozesse zu gestalten, welche digitale und persönliche Prozesse optimal verbinden. Überspitzt gesagt: Banken verdienen weniger, müssen aber mehr in die Zukunft investieren. Vielleicht auch aus diesem Grund sind heute kollaborative und firmenübergreifende Ökosysteme hoch im Kurs. Wir selbst sind etwa Gründungsmitglied beim OpenBankingProject.ch, einem Projekt, das, wie der Namen sagt, die Open-Banking-Kultur in der Schweiz voranbringen will. Natürlich sind auch hier wieder in erster Linie technologieaffine Berufe und IT-Professionals gefragt, die neue Programmier-Standards im Bereich des Schnittstellenmanagements von Banksystemen mit Angeboten von Drittanbietern verstehen und im Markt etablieren können. Dazu braucht es aber auch eine offene Denkweise, denn in diesem Projekt arbeiten Kernbankensystemanbieter wie Avaloq, Finnova und Finstar erstmals zusammen. Das gab es in dieser Form in der Schweiz noch nie. Wir müssen zusammen neue Wege beschreiten, um Lösungen auf die Herausforderungen gemeinsam zu finden. Das ist eine ganz neue Kultur, die ich extrem spannend finde, weil man nicht einfach nach dem Schema F funktionieren kann.

Wie verändern die aktuellen Entwicklungen das Arbeitsumfeld der Mitarbeiter/innen von Banken?

Marianne Wildi: Das kann man noch nicht abschliessend sagen. Aber man braucht heute unbedingt Agilität, Neugierde und die Bereitschaft, alte Muster abzulegen, um sich auf neues, noch nicht klar definiertes Terrain begeben zu können. Mit allem, was das mit sich bringt. Das erfordert zum Beispiel auch sprachliches Talent. So musste ich mir in den vergangenen Jahren ein ganzes Arsenal an neuen Vokabeln verinnerlichen: PropTech, Smart Living, Crowd Intelligence, Cold und Hot Wallet, Tokenisierung oder Security Token Offering – die Neologismen fliegen einem heutzutage nur so um die Ohren. Da muss man manchmal auch Übersetzungshilfe leisten, gerade auch bei älteren Menschen, die bei unserer Bank ein wichtiges Kundensegment darstellen. Kommunikation war schon immer wichtig und wird sicher auch in Zukunft bleiben. Nicht so schnell verändern wird sich hingegen genau dieses Bedürfnis des Menschen, Lösungen für komplexe Sachverhalte im persönlichen Gespräch mit einem anderen Menschen zu finden. Etwa, wenn es um die richtige Form der Altersvorsorge geht oder um die richtige Anlagestrategie, die auf die individuelle Risikosituation eines Kunden abgestimmt ist. Vielleicht werden wir in Zukunft mit künstlicher Intelligenz auch solche komplexen Gebiete besser und schneller handhaben können. Heute ist das noch nicht der Fall.

Gibt es Unterschiede zwischen den kleineren, regional verankerten Banken und den grossen, weltweit aktiven Bankendienstleistern?

Marianne Wildi: Die gibt es auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Nehmen Sie die vorher angesprochene Ökosystemfähigkeit. Grosse Banken, aber auch grosse Versicherungen wollen selbst ein Ökosystem sein und investieren hohe Summen in den Bau solcher Strukturen. Kleinere Regionalbanken setzen dagegen auf multilaterale Ökosysteme, indem sich verschiedene kleinere Firmen die Investitions- und Entwicklungskosten teilen und zugleich von externem Know-how profitieren können. Regionalbanken wie die Hypothekarbank Lenzburg sind traditionell stärker in einer Region verwurzelt als eine Grossbank. Wir bedienen quasi ausschliesslich eine Schweizer Klientel. Das heisst auch, dass wir hinsichtlich Abwicklung und grenzüberschreitenden Gerichtsbarkeiten einen deutlich geringeren Komplexitätsgrad haben und somit auch ein geringeres Gesamtrisiko aufweisen als Grossbanken. Insofern finden wir es auch richtig, dass die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) dies im neuen sogenannten Kleinbanken-Regime berücksichtigt hat und damit in der Schweiz regulationstechnisch nicht mehr alle Banken über einen Leisten geschlagen werden.

Welche Kompetenzen sind zukünftig besonders wichtig?

Marianne Wildi: Wichtig finde ich von den alten Kernkompetenzen weiterhin Bodenständigkeit und Fachexpertise sowie Sicherheit und Empathie für Kunden, also alles Kompetenzen, die dazu beitragen, dass Kunden uns Banken als sicher einstufen und uns vertrauen. Die Informatikkompetenz ist heute wieder höher im Kurs: Im Zuge der Digitalisierung bauen Banken wieder vermehrt Informatik-Know-how insbesondere im Bereich Usability und Interaction-Design auf. Dazu kommen als Kompetenzen Flexibilität und Freude an der Veränderung. Man sollte Freude haben, wenn etwas verändert wird und man etwas Neues lernen darf. Das widerspricht eigentlich den meisten Menschen. Sie hassen in der Regel Veränderungen. Zudem erachte ich es in einem Transformationsprozess, in welchem sich die Bankenbranche heute befindet, als erfrischend und ermunternd, wenn man eine optimistische und positive Grundhaltung hat und stolz darauf ist, wenn man etwas bewegen kann. Unternehmerisches Denken und Handeln sollten wir allgemein wieder stärker fördern.

Seit 2016 besteht die Möglichkeit, sich im Bereich der Kundenberatung zertifizieren zu lassen. Hat sich dieses Angebot etabliert und bewährt?

Marianne Wildi (lacht): Das ist keine Möglichkeit. Bei uns müssen die Kundenberater/innen die Zertifizierungsprüfung obligatorisch ablegen. Wir haben zwei Prüfungsmodule: eines für die Hypothekarkreditberatung und eines für die Anlageberatung. Wir haben grosso modo schon rund die Hälfte der Berater/innen zertifiziert. Für die meisten Berater/innen ist das ein ziemlicher Effort – der Stoff ist umfangreich. Aus Kundensicht kann sich ein solches Angebot nur bewähren, schliesslich trägt es zur Qualitätssicherung unseres Beratungsangebots bei. Ein hoher Qualitätsanspruch in der Beratung ist für uns überlebenswichtig.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeit eines Quereinstiegs in die Bankenwelt?

Marianne Wildi: In der Informatik ist dies relativ problemlos möglich, auch in Bereichen der Operations und Services. Allerdings sind in den Leitungsfunktionen unserer Bank fast ausschliesslich Leute mit einem Banking-Hintergrund. An der Front in der Kundenberatung haben wir auch immer wieder mal Quereinsteiger/innen, aber auch hier verfügen die meisten unserer Mitarbeitenden über eine Ausbildung oder lange Erfahrung im Bankenbereich. Insofern würde ich jetzt nicht gerade von berauschenden Möglichkeiten für Quereinsteiger sprechen – aber das gilt nur für die Hypothekarbank Lenzburg.

 

Bei diesem Interview handelt es sich um einen Beitrag in der Ausgabe «Banken und Versicherungen» der Heftreihe «Chancen – Weiterbildung und Laufbahn», die vom Schweizerischen Dienstleistungszentrum Berufsbildung | Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (SDBB) herausgegeben wird. Das ganze Heft kann auf der Website des SDBB bestellt werden; www.sdbb.shop.ch.

Marianne Wildi ist CEO der Hypothekarbank Lenzburg AG und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Bankiervereinigung. Nach Abschluss der Wirtschaftsmittelschule war sie im Informatikteam der Hypothekarbank Lenzburg, erst als Programmiererin, später als stellvertretende Informatikchefin tätig. Parallel zu ihren beruflichen Aufgaben bildete sie sich weiter. Sie absolvierte ein Studium in Betriebsökonomie FH, die höhere Fachprüfung als Bankfachexpertin sowie Lehrgänge an der Swiss Banking School und verschiedene Ausbildungen im Bereich Unternehmensführung. Marianne Wildi ist massgeblich beteiligt an der Realisierung der IT-Plattform Finstar. Als eine der einflussreichsten Bankerinnen der Schweiz ist sie gefragte Gesprächspartnerin, auch wenn es um zukunftsorientierte Entwicklungen im Bankenbereich geht.

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